Auf der anderen Seite des Globus in einem Staat mit Wahlmodus aus der Zeit Friedrichs des Großen wird gewählt. Es gewinnt ein populistischer, prädementer Troll. Das macht uns aber nichts, denn wir, wir sind gut vorbereitet. Uns macht das nichts, deshalb haben wir die Kapazitäten frei, uns mit uns selbst zu beschäftigen.
Wie das ewig uneinige Triumvirat streiten sich die Köpfe unserer Bundesregierung darum, wie Geld anderer Leute und Geld, das man nicht hat, am besten ausgegeben werden könnte – so sagt man zumindest. In Wirklichkeit arbeitet jeder der drei Protagonisten seit anderthalb Jahren nur noch an der Ausgangslage für die nächste Wahl, ein jeder auf seine Weise. Ein roter Kanzler im Gespann mit dem Heil’schen Schwarzes-Loch-Ministerium verteilt mit der Gießkanne konsequenzlos immer weiter geliehenes Geld, ein grünes Superministerium produziert am laufenden Band Vorschläge nach dem Schema „gut gemeint statt gut gemacht“ und die Gegenvorschläge des Finanzministers sind dazu ein Schwarz-weiß-Kontrast, wie seine Wahlplakate.
Mittlerweile streitet man in der auf rot-gelb flackernden Regierungskoalition mehr untereinander als mit der Opposition. Am Abend des sechsten November wird nun aber der Finanzminister entlassen, es ist Schluss, Schluss mit der ganzen Ampel. Mit der ganzen Ampel? Nein, in einer kleinen Bastion an der Spree hält einer die Stellung. Die drängendsten Gesetze, solche, die keinen Aufschub dulden, sollen noch vor Weihnachten durch Bundestag und Bundesrat, denn: Der Mann hat ja einen Amtseid geschworen und man sollte es nicht glauben, an diesen hat er sich nun erinnert.
Die – eventuelle – Auflösung des Bundestags, um – wie Land auf, Land ab gerne gesagt wird – „den Weg frei zu machen“ soll erst in Januar initiiert werden. Das gebietet „die staatspolitische Verantwortung“. Ist das so? Minderheitsregierung heißt Minderheitsregierung, so sagt der Duden, weil die Regierung keine Mehrheit im Parlament hat. Wie nur will dieser Kanzler denn dann seine dringenden Gesetze durchs Parlament bringen? Zum Glück hat er auch auf diese Frage eine Antwort, er hat außer bei sich noch wo anders „staatspolitische Verantwortung“ gefunden, bei seinem „Wunschgegner“ Friedrich Merz und der Opposition. Die sollen ihm nun aus der selbstverzapften Patsche helfen.
Aus der Patsche helfen? Nein, wenn man die von teilweise sichtlich erleichterten sozialdemokratischen MdBs beklatschte Presseerklärung des Kanzlers anschaut, drängt sich einem der Eindruck auf, dass diese nicht sonderlich spontan zu Stande gekommen ist, sondern schon geraume Zeit in seiner Aktentasche einstaubte. Es drängt sich auf, dass mit dieser Rede und dem darin beschriebenen Vorgehen mit Wahlen Ende März verschiedene Wahlkampfstrategien aufgegleist werden.
Zuallererst bestimmt der Kanzler mit seinen Ausführungen die Marschrichtung des Blame-Games innerhalb seiner Koalition: Nicht nur sind die unnachgiebigen Positionen des Koalitionspartners FDP schuld am Bruch, nein Christian Lindner persönlich sei verantwortungslos und unzuverlässig und Grund für das Ende der Fortschrittskoalition.
Zweitens verschafft der Kanzler – anscheinend auch einvernehmlich mit dem Vizekanzler – seiner Partei, die selbst mit der Spitzenkandidatennominierung erst im nächsten Juni rechnete, Zeit, um kurzfristig eine Wahlkampagne auf die Beine zu stellen.
Drittens bereitet der Kanzler die Erzählung für die Auseinandersetzung mit dem „Wunschgegner“ Friedrich Merz und der CDU vor. Es geht nicht darum, dringliche Gesetze noch zu verabschieden, es geht darum, dass die CDU Schuld zugeschoben bekommen soll, weil sie ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ nicht gerecht wird, wenn sie nicht bereit ist, dem Kanzler dabei noch über die Ziellinie zu helfen. Nicht mehr die Resteregierung soll Schuld sein daran, dass Dinge wie die Rentenstabilisierung nicht mehr beschlossen werden, sondern die Union soll den schwarzen Peter zugeschoben bekommen.
Und dann baut der Kanzler noch auf Home-Turf. Die Wahl bei seinem Kumpanen Tschentscher soll ihm noch einen Hauch norddeutschen Rückenwind verpassen für ein Comeback aus dem Umfragekeller wie 2021.
Ist das die „staatspolitische Verantwortung“, von der der Kanzler spricht? „Germany’s government has collapsed“ titelt die Financial Times, wäre es da nicht staatspolitisch verantwortlich, schnellstmöglich „den Weg frei zu machen“ für eine neue stabile, handlungsfähige Bundesregierung, „den Weg frei zu machen“ für Neuwahlen?
Nicht einmal beim Abtreten kommt Olaf Scholz zu Potte...
Von Ingvar Neubauer
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